Shitstorms beenden – ein Versuch bei ESC-Gewinnerverlierer Andreas Kümmert

Andreas Kümmert vertraute mir, das spürte ich. In mir sah er den Griff seines digitalen Fallschirms, während er unendlich tief zu stürzen schien. Wieder war er nach dem Soundcheck einfach nach Hause gegangen. Groß-Gerau. Allein der Name. Sollen sie doch Radio hören.
Doch diesmal hielt das zahlende Publikum seine Unprofessionalität nicht mehr für den lang vermissten Rock’n’Roll. Das sollte er auf seiner Facebook Seite am Abend bemerken.
Andreas war unerfahren mit Social Media und ihrer Dynamik. Er mochte die Gitarre, die ruhigen Töne. Das Laute, der Shitstorm – das war nicht seins. Ein Profi musste her, und ich bekam die Gelegenheit für einen Versuch. Nach kurzer Überlegung diktierte ich ihm die magischen Worte gegen den Hass in sein von rot-lockigem Haar umspieltes Ohr.

„Meinst Du wirklich?“
fragte er, die Augen wie ein Reh.
„Nur zu. Nur zu.“
Ich wusste, was ich tat.

Kümmerts zittrige Finger verfehlten so manches Mal die Tasten seines speckigen Galaxy S2 mini. Dann wiederholte er mit fester Stimme:

„Mein Anwalt ist eingeschaltet! An alle Hater: Verpisst euch, ihr degenerierten Arschlöcher!“

Ich nickte wie nur ich durch ein Nicken Zuversicht schenken kann. Er schien glücklich, sein Gesichtsausdruck beim Senden glich der Feierlichkeit eines bayerischen Bürgermeisters – bei der Einweihung eines ersehnten Stück Radwegs.
Andreas Kümmert. Hier klang er endlich nicht mehr nach Ballade. Der kleine Andi hatte sich zum Mann gepostet. Jetzt musste er nur noch darauf warten, dass die grimmige Gemeinde auf einen Schlag verdutzt und für immer die Kritik einstellt.

Nun. Ich gebe zu, es war ein Test, der fehlschlug.
Hiermit erkläre ich mein Experiment für gescheitert.

Meine Taktik unter dem Arbeitstitel
„Deeskalation durch Eskalation“
hat wirklich nur wenige Vorteile. Sie sieht zum Beispiel geschrieben hübsch aus. Und klingt rückwärts wie ein finnisches Sprichwort. Ich fürchte aber, mehr ist da auch nicht.
Sorry, Andreas. Ich melde mich mit was Neuem. Solang poste mal lieber: gar nichts.

 

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„Ohne Worte, ich bin so sprachlos – Gefällt Euch das?“

Ein Flugzeugabsturz. Und ich habe gestern nichts dazu geschrieben – nicht bei Facebook, nicht bei Twitter. Ja, ich war das.

Diese Tweets und Posts – mir ist selten so übel geworden.

Im ersten Moment wollte ich es, das war wie ein Reflex. Zwei Zeilen schreiben vielleicht, Beileid aussprechen, Trost und Stärke wünschen. Es gibt nur ein Problem. Man muss auf dem Weg zum eigenen Post oder Tweet an den Äußerungen der anderen vorbei. Mal einen Blick auf das werfen, was sich dort tut. Und mir ist selten so übel geworden.

Um zwei Dinge klar zu sagen, bevor ich haarsträubende Beispiele nenne:

  1. Dies ist keine Kritik, öffentlich auch um Menschen zu trauern, die einem persönlich unbekannt sind. Wir sind Menschen. Wir machen das. Wir haben in digitalen Netzwerken neue Möglichkeiten bekommen und nutzen sie. Gemeinsam Erlebtes schweißt zusammen – in guten und in schlechten Zeiten. Ich kritisiere auch nicht die Bilder. Massenphänomene brauchen gemeinsame Zeichen. Mal sind es Worte, mal die Deutschland-Fahne bei einer WM, mal ein schwarz-weißes Logo oder eine schwarze Schleife als Profilbild. Daran ist nichts zu kritisieren. Das sind Dynamiken seit Jahrtausenden, die wir nun auch online erleben. Wenn es um Trauerarbeit geht, ist alles erlaubt. Keiner muss sich fragen, ob es seine Aufgabe ist, sich öffentlich zu äußern. Er schreibt einfach und fühlt sich besser. Und das ist gut so.
  2. Dies ist mal keine Medienkritik. Man sollte den gestrigen Tag gern diskutieren, den sehr schnellen, manchmal unreflektierten Journalismus noch aufarbeiten. Fehler – so meine Sicht – wurden weniger gemacht als in vielen Fällen zuvor. Stürzt ein Flugzeug ab, will ich keine Angehörigen weinen sehen, aber natürlich erwarte ich einen Übertragungswagen am Zielflughafen. Natürlich will ich von einem Experten etwas zum Flugzeug-Typ erfahren, es darf auch mal eine mögliche Ursache genannt werden, die noch nicht behördlich festgestellt wurde. (Die Möglichkeit eines Attentats wurde im Übrigen nur sehr spät und am Rande erwähnt und gehört heute zur Vollständigkeit.) Und natürlich muss es Sondersendungen auf allen wesentlichen Sendern geben, speziell in Nordrhein-Westfalen. Dieselben Kritiker hätten sie verlangt, wäre es im Programm bei Küchenschlacht, Rote Rosen oder Eisbär, Pinguin und Co. geblieben. Das alles soll und muss woanders aufgearbeitet werden.

War Beileid immer das einzige Motiv?

Gestern zeigte sich etwas Neues, das jeder nur für sich aufarbeiten kann. Und es geht um Motive für Posts von mehr oder weniger bekannten Persönlichkeiten, die vielleicht über Beileid hinausgehen.

  • Eine junge Journalistin erfindet die Sprachlosigkeit neu, ihr bliebe „alles im Halse stecken“. Auf deutsch. Auf englisch. Auf spanisch. Alle wichtigen Hashtags sind vergeben. Ihre direkt hintereinander abgesetzten und wunderbar zitierbaren Tweets könnten es sogar in spanische Zeitungen schaffen, übersetzt sind sie bereits. Viel Glück! Das wirkt so absurd, dass ich mein Handy kurz weglege: Sie ist sprachlos – in gleich drei Sprachen!
  • Der Tatort-Schauspieler twittert, er denke an die Passagiere und „halte heute mal die Klappe“. Hashtags hat er – wie alle – nicht vergessen, damit sein Schweigen nicht untergeht. 907 Menschen applaudieren.
  • Eine Radiomoderatorin fühlt sich noch am Abend präsidialer. Sie wendet sich direkt an die Mitschüler von Haltern. Wünscht ihnen ganz persönlich „viel Kraft morgen in der Schule“. Sie ahnt sicher, dass keiner ihrer Follower Schüler in Haltern ist. Aber sie hat Glück, ihr Sender retweetet.
  • Kollegen schreiben, dass auch sie jetzt in einen Flieger steigen werden, diese Flugverbindung schon oft nutzten, sogar selbst „fast“ in „genau diesem“ Flugzeug gesessen hätten. Sie holen das Unglück von Menschen zu sich. Sie scheinen das Beileid der Online-Gemeinde auf sich ausdehnen zu wollen. Wie würde es ihnen, den vielen Fans, erst gehen, wäre er oder sie das Opfer gewesen? Unvorstellbar, oder?
  • Ein sonst sehr stilsicherer Kollege zeigt seine Überforderung anders. Er kann sich gar nicht mehr für einen Weg entscheiden: Er unterstellt anderen, aus diesem Leid Klick-Erfolge zu machen, dann hat er die zündende Idee. Er stiftet selbst einen pathetischen Satz, auf dass er sich stark verbreite, pöbelt aus heiterem Himmel gegen andere, um am Ende einen wieder umarmenden Kalenderspruch nachzulegen. Nun scheint er genügend Pferde ins Rennen geschickt zu haben. Es wäre doch verhext, wenn davon keins das Ziel erreicht.
  • Ein bekannter deutscher Quizshow-Moderator schweigt überraschend lang, teilt mal einen aktuellen Bericht, hält sich sonst zurück. Ich merke, wie ich mich innerlich bei ihm entschuldige, auf seiner Seite nach widerlichem Pathos zu suchen. Dann die Auflösung: Dreharbeiten, er komme jetzt erst „zu mehr“ und entschließt sich vor dunklem Hintergrund im schwarzen Hemd doch noch zu einer Rede an die Nation. Nach dem Satz „Ihr wisst, Ihr Lieben, wie oft ich selbst fliege“ schluckt er bedeutungsvoll, „Fliegen wird nie wieder so sein wie es war“ – ich schalte ab.

So könnte ich aus dem Stand noch sieben weitere Beispiele nennen, stoppe hier aber und bemerke: Was eigentlich, wenn ich den Fehler gemacht habe gestern?

Langsam bekomme ich ein mulmiges Gefühl. Hätte ich auch mein Beileid aussprechen sollen, Trost und Stärke wünschen? Wird das von Personen (gerade von öffentlichen) erwartet, wenigstens zwei Zeilen? Muss ich das lernen? Und das meine ich nicht ironisch, will nicht belehren, nicht vorführen, nicht allen alles unterstellen. Ich will das wissen. Sie alle werden ja behaupten, aus Respekt zu schreiben. Aber aus Respekt zu schweigen – geht das noch?

Einige meiner Kolleginnen und Kollegen werden den gestrigen Tag heute nacharbeiten. Aber anders, als ich es mir wünsche. Sie werden heute fieberhaft suchen, welches eigene Zitat es in die Süddeutsche geschafft hat, welches auf Spiegel Online… Welcher Schauspieler, Moderator, Musiker hat es weiter geschafft als sie… Ja, auch so ist der Mensch wohl.

Beim nächsten Mal wünsche ich mir, dass diese Kollegen vor ihrem Post und Tweet kurz mit lieben Menschen sprechen. Sie sollen ihnen laut vorlesen, was sie gleich online schreiben wollen. Und wenn diese Menschen ihnen sensibel beibringen: „Glaubst Du, die Menschen warten jetzt auf diesen Satz von Dir?“ – dann rate ich, die digitalen Netzwerke einfach mal zu vergessen und etwas zu tun, was weniger Likes, aber bestimmt die schöneren bringt:

Die eigenen Angehörigen mal in den analogen Arm zu nehmen.

Das Geheimnis ewiger Jugend… Ann-Kathrin Kramer

Es gibt eine sehr gesunde Art, jung und schön zu bleiben. Die schönste von ihnen ist: Mädchen sein. Mädchen sein – das ist offenbar alterslos. Weiterlachen, weiterflirten… und wissen, dass alles andere nur die Laune verdirbt. Da mach ich doch mit!

Zu Gast: die ewig junge, bezaubernde Ann-Kathrin Kramer.

Erst wollte sie mir erzählen, dass sie wie ein Junge aufgewachsen sei. Mit Prügelei und Weitpinkel-Wettbewerben. Wir konnten herausarbeiten, dass aus solchen Mädchen ja dann die allgrößten Prinzessinnen werden.

Ein Abend zum Verlieben, inkl. Striptease-Kurs! HIER zum Nachhören. (Schauen Sie nach dem 14. März.)

Und ihre Musik: HIER zum Nachlesen.

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WDR 2 – und warum ich leuchte

Wun.der.bar.
Nach der Nachricht auf DWDL.de muss ich wohl doch hier mal offiziell jubeln:

Große Ehre. Ich bin glücklich.

Das Programm smarter zu machen, nicht gleich mit vier Talk-Ideen zu protzen, sondern Energien zu bündeln – diese Überlegung stand länger im Raum. Das Ende von „Zu Gast bei…“ ist für uns beide kein Ende. Das Projekt dahinter ist deutlich bunter.

Der Reihe nach: WDR 2 bietet aktuell auf gleich mehreren Strecken hochwertigen Talk. Samstagabends, sonntagmorgens, sonntagvormittags (Paternoster) und die wohl bekannteste Talkshow im Radio: den „WDR 2  MonTalk“.

Talk ist aufwendig, das muss man wissen. Dahinter arbeiten – anders als in z.B. Musiksendungen – sehr viele Menschen. Die Idee ist also nun, das Feinste aus „Zu Gast bei…“ in den MonTalk zu übernehmen – warum nicht 100% Wunschmusik des Gastes? Das MonTalk-Team ist preisgekrönt und hat einige preisgekrönte Talker. Bald zu ihnen zu gehören, ist eine Ehre, auf die ich mich sehr freue. Auf die neuen Kollegen natürlich, auf die Sendungen und auf natürlich deutlich mehr Hörer zur besseren Sendezeit: ich freu mich auf Euch.

Bald gehts los. Ich informiere hier, wann genau. Eigentlich habe ich am Ende nur eine einzige Frage: Habt Ihr samstagabends schon was vor? Ich häng bald wieder viel am Bahnhof rum.

(Die letzte Sendung „WDR 2 – Zu Gast bei Tobias Häusler“: Samstag, 4. April 2015.)