„Schmeiß den Typen einfach raus, Tobias! Schmeiß ihn raus!“

Immer wieder lässt sich Serdar Somuncu die Mails zeigen, die das Studio erreichen. Er liest und lächelt. „Arrogant und unverschämt.“ Serdar lacht. „Ich erwarte eine ernsthafte Entschuldigung.“ Ich muss schlucken. Serdar sagt, das schrieben sie immer. „Lieber Tobias, schmeiß ihn einfach raus.“ Er legt den Stapel zur Seite.

Serdar greift zum Kopfhörer, konzentriert sich, es ist Showtime.

„Das ist ein richtig richtig gutes Gespräch“, sagt Serdar Somuncu und lächelt glücklich. Er lächelt viel an diesem Abend bei WDR 2, sitzt entspannt im Stuhl, hört mal versonnen seiner selbst gewählten Musik zu, erzählt von Konzerten. Dann geht ein Song zu Ende, Serdar greift zum Kopfhörer, konzentriert sich, es ist Showtime.

Rotlicht ist der Vollmond, der Serdar verändert.

Der Mann, der später wieder höflich nach einem Wasser fragen wird, verwandelt sich. Rotlicht scheint der Vollmond zu sein, der Serdar verändert. Gehen die Mikrofone an, dann lauert er. Er wartet auf alte Klischees, vielleicht aber auch nur auf einen Punkt, an dem er eine Sendung sprengt. Das Wort ist falsch. Er will nicht sprengen, Serdar hat etwas vor, dafür braucht er eine Tür in mein Konzept. Er meint es gut. „Für angeregte Gespräche“ gebe es im Türkischen viel mehr Begriffe als im Deutschen. „Habt Ihr schonmal jemanden rausgeschmissen“, fragt er mich gleich in den ersten Minuten. „Ein zwei Mal hätte ich gern, aber eher aus Langeweile“, überlege ich. Langweilen sollte ich mich zwei Stunden lang nicht.

Ich mache es ihm schwer. Die alten Geschichten, sie wollen nicht kommen.

Serdar, der Schreihals, das Maschinengewehr, der Bullterrier, wenige haben so ein scharfes Profil in der Öffentlichkeit wie er. So ein Alleinstellungsmerkmal kostet Jahre, die meisten erarbeiten es sich nie. Den Fehler, ihn darauf zu reduzieren, den Theatermann, Schauspieler, den studierten Regisseur, mache ich nicht. Den Gefallen tue ich ihm nicht. Die alten Geschichten, sie wollen nicht kommen. Wir sprechen nicht über sein Hitler-Programm aus den 90ern, das ihm jahrelangen Polizeischutz bescherte, wir sprechen nicht über die Türkei, Israel, Kopftücher, Frauen, Vorurteile, sein Anliegen auf der Bühne. Wenn er also eine Tür sucht, dann muss er die schon selbst bauen und anschließend eintreten. Er baut und wartet mit dem Eintreten bis halb neun. (Im Podcast ab 14:23 min.)

„Ist Hass Dein Motor“, frage ich. „Nein, Liebe“, sagt er, dann legt er los.

Manchmal fühle ich körperlich, wie sehr er mich falsch verstehen will. Würde er mir genauer zuhören, seine Idee vom Crash-Talk würde von Konsens weggespült. „Sting macht heute nur noch, was er will, das wird Dir gefallen.“ Er verbessert mich: Sting mache nichts mehr, weil er müsse. Ich ahne, dass er weiß, dass wir beide einer Meinung sind. Aber gegen „eine Meinung“ ist er gerade allergisch. Er will Fallen stellen, er will die Krise, weil er uns nur nach einer Krise die Versöhnung gönnen kann.

Ich werfe DIN A4 Seiten von Ideen weg, seine Ehekrise soll er kriegen, denke ich.

Ich entscheide mich, bewusst loszulassen und mich immer erst dann zu verteidigen, wenn er mich persönlich angreift. Ich werfe DIN A 4 Seiten von Ideen einfach weg, mehrere Songs fallen raus, er will „eine ganze Ehe in zwei Stunden“ – unterbrochen von Musik, die so schön ist, dass der Kontrast von Musik zu Gespräch neonfarbig im Ohr beißt. Er soll sie haben, seine Ehe. Ich mache mit, wir diskutieren bis zu acht Minuten am Stück.

„Was für ein akustischer Trip. Ich konnte nicht abschalten.“

Es ist Radio, live, zwei Typen in der Samstagnacht. Die Regeln wollte ich machen, dann er, jetzt gibt es keine mehr. „Was für ein akustischer Trip. Ich konnte nicht abschalten.“, schreibt Lisa. Twitter, Facebook und Mails feiern eine neue Ehrlichkeit im Radio. Aber: War es ehrlich? War es Theater? Mir ist es um 21:57 Uhr an diesem Abend egal. Jetzt lächeln wir beide glücklich.

„Gute Nacht, Serdar Somuncu.“ „Gute Nacht, Tobias.“

Der letzte Song: Garbage. „The trick is to keep breathing“.

HIER den Podcast hören. HIER zur Sendungsseite mit Serdars Playlist.

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Zu Gast bei EXTREME: Serdar Somuncu zu Gast

Seit fast 30 Jahren kann man seine Auftritte nun schon verfolgen. Serdar Somuncu stand schon während seines Studiums auf diversen Bühnen und war bald als Schauspieler, Regisseur, Kabarettist oder Sprecher aktiv. Den größten Teil seiner Karriere sah man ihn jedoch solo – in einer Mischung aus Provokateur und moralischem Fallensteller.

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Wobei er aber nach eigener Aussage nichts anderes macht, als sich öffentlich mit sich selbst auseinander zu setzen. Am Samstag ist der reizende 46-jährige nun zu Gast bei Tobias Häusler.

Bekannt durch Lesereihe: „Nachlass eines Massenmörders“

Bekannt wurde Serdar Somuncu in den 90er Jahren mit seiner szenischen Lesereihe „Nachlass eines Massenmörders“. In ihr arbeitete sich der Wahl-Kölner anhand von Hitlers „Mein Kampf“ auf ganz persönliche Weise durch die deutsche Geschichte und zeigte pointiert und quasi en passant die diversen Widersinnigkeiten der Hitlerschen Niederschrift auf.

Da hin gehen, wo es weh tut

Auch seine folgenden Programme „Wollt ihr den totalen Krieg?“ mit Ausschnitten aus der Sportpalastrede des Reichspropagandaministers Joseph Goebbels, „Hitlers Kebab“ oder „Der Hassprediger liest Bild“ bewegen sich auf ähnlichen Themengebieten. Lediglich seine letzte Veröffentlichung fällt dahingehend etwas aus dem Rahmen: Im Herbst 2013 veröffentlichte Serdar Somuncu das Rap-Album „Zwieback & T – Wir beide“, in dem er unter dem Pseudonym „Scheiß T“ einen Streifzug durch alle möglichen Genres und Inhalte, von Rock bis Pop, von Liebesliedern bis zu sozialkritischen Texten, unternimmt. Umso gespannter darf man sein welche Wunschtitel er bei seinem Besuch bei Tobias Häusler im Gepäck hat.

Originalseite: HIER (Quelle: WDR)